Werkzeug

Bit-Geschichten: Das Schlitz-Bit

Als ich neunzehn war und auf dem Weg zur University of California in Santa Cruz, wo ich mich eine Weile in alternativen Lebensformen und experimenteller amerikanischer Literatur versuchte, drückte mir mein Vater – ein ausgesprochen begabter Heimwerker mit breiten Schultern und dröhnender Bassstimme, bei dem man sich sofort sicher fühlte – eine pinke Werkzeugkiste in die Hand. Sie enthielt ein Set Schraubenschlüssel, ein paar Zangen und zwei Schraubendreher. Dann klopfte er mir ermutigend auf die Schulter und ließ mich in die große, weite Welt hinausziehen – mit der Überzeugung, dass eine Handvoll Werkzeuge und ein gutes Ausdrucksvermögen alles waren, was ich auf meinen ersten Irrungen und Wirrungen durchs junge Erwachsenenleben brauchte.

Zwei Jahre lang stand die Werkzeugkiste in der Ecke meiner überteuerten und überfüllten Wohnung – direkt neben dem Durchlauferhitzer, der ziemlich sicher eine Abdeckung hätte haben müssen (aber nicht hatte). Immer, wenn etwas in der Wohnung kaputtging, zog ich sie hervor, schob die Schraubenschlüssel beiseite und schnappte mir die Schraubendreher mit ihren wunderbar dicken Griffen.

Sie waren schwer und solide und gaben mir dasselbe Gefühl von Sicherheit wie mein Dad. Außerdem waren sie perfekt für die ungeschickte, unachtsame junge Frau geeignet, die ich damals war. Damals wusste ich nicht, wie sie hießen, aber bei den Schraubendrehern, die mein Vater als essentielle Lebensausstattung ansah, handelte es sich um einen Kreuzschlitz- und einen Schlitzschraubendreher.

Den Schlitzschraubendreher mochte ich lieber.

Der Schlitzschraubendreher war so wunderbar grobmotorisch wie ich es damals war. Er hielt die Schrauben nicht fest, sie fielen oder rutschten aus der Klinge heraus und einige Male hätte ich mich fast verstümmelt. Aber was dem Schlitzschraubendreher an Eleganz fehlte, kompensierte er mit Entschlossenheit. Wenn man nur genug Kraft aufwendet, im richtigen Winkel ansetzt und nicht nachgibt, lassen sich erstaunlich viele Schrauben – ob Schlitz- oder andere – mit einem Schlitzschraubendreher in Bewegung setzen. Die Schraube wird dadurch stets ziemlich übel zugerichtet. Der Schraubendreher jedoch hält stand, stur und unbeugsam wie ein Geistlicher in einem Charles-Dickens-Roman.

Flathead screwdriver

Und genau deswegen mochte ich ihn. Der Schlitzschraubendreher macht keine Kompromisse. Was logisch ist, denn von allen Schraubendrehern ist er der älteste. Vor etwa 250 Jahren taucht er erstmals in der Literatur auf, wenn auch zunächst eher selten. Schon damals wurde er auf Deutsch Schraubenzieher, später auch Schraubendreher genannt, und auch im Französischen hieß er damals schon tournevis. Eine seiner ältesten Abbildungen stammt aus dem Jahr 1765, sie ist in Witold Rybczynskis Buch One Good Turn: A Natural History of the Screwdriver and the Screw (zu Deutsch etwa: Eine gute Wendung: Die Entstehung von Schraubendreher und Schraube; aktuell nur auf Englisch erhältlich) repliziert. Die Illustration zeigt einen Schlitzschraubendreher mit kurzer Klinge – der schon fast genauso aussah wie der, den mein Dad mir für mein Studentinnenleben mitgab.

„Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, aber ich bin enttäuscht, dass das Werkzeug einem gewöhnlichen, modernen Schraubendreher ähnelt“, schreibt Rybczynski.

Ich hingegen lege großen Wert auf Verlässlichkeit und bin überhaupt nicht enttäuscht. In einer Zeit, in der Automodelle jedes Jahr anders aussehen, finde ich es tröstlich, dass es Dinge gibt, die sich seit mehreren Jahrhunderten nicht verändert haben.

Abbildung aus einem 1922 Goodell-Pratt Company’s Complete Catalog aus dem Jahre 1922, in der Public Domain.

Natürlich ist die Zeichnung aus dem Jahr 1765, die Rybczynski fand, nicht die Abbildung des allerersten Schraubendrehers überhaupt. Es handelt sich nicht einmal um ein besonders frühes Modell. Rybczynski stieß auf Erwähnungen von Schlitzschrauben in einer technologischen Abhandlung von 1588, in einem Buch über die Metallurgie von 1556, und auf Handschellen in einer Abbildung aus dem frühen 15. Jahrhundert. Schlitzschrauben wurden schon in den 1480er Jahren verwendet, um Pistolen und Rüstungen zusammenzuhalten. Und wo die Schrauben sind, ist der Schraubendreher nicht weit.

A Natural History of Screwdrivers
Auf diesen Wheellock-Pistolen und dem dazugehörigen Priming-Kolben/Schlüssel kannst du die Schlitzschrauben gut erkennen. Ca. 1570-80. Bild in der Public Domain.

Mit einem Wort: Der Schlitzschraubendreher ist alt.

Natürlich ist es möglich, dass viele der frühesten Schlitzschraubendreher überhaupt keine Schraubendreher waren. Zur Not können viele Dinge herhalten, um eine Schlitzschraube zu lösen, ein Messer etwa oder eine Münze. Im Mittelalter wäre ein Schraubendreher ein Spezialwerkzeug gewesen – aber auch Schrauben selbst waren noch nicht häufig anzutreffen. Denn während Nägel einfach und billig herzustellen waren, erforderte das Formen von Schrauben aus Metall viel Zeit und große Handwerkskunst und war entsprechend teuer.

All das änderte sich schließlich. Im 18. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Schrauben an, und bald konnten sie maschinell hergestellt werden. Mitte des 19. Jahrhunderts produzierten englische Maschinen dann wahre Schiffsladungen voller billiger Schlitzschrauben. Und der Schlitzschraubendreher wurde zu einem unverzichtbaren Werkzeug. Natürlich dauerte es dann nicht lang, dass die Schwächen der Schlitzschraube immer mehr Menschen auffielen.

Rybczynski erklärt: „Schlitzschrauben weisen mehrere Nachteile auf. Der Schraubendreher rutscht leicht aus dem Schlitz heraus, was zu Schäden am Material, an dem man arbeitet, führen kann oder zu Verletzungen an den Händen – oder beidem.“

In der Folge wurde eine ganze Reihe verschiedener Schraubenköpfe und Schraubendreher entwickelt, von denen sich viele in den sorgfältig zusammengestellten Toolkits von iFixit finden, wie dem Manta und dem Mahi Precision Bit Set. Und dennoch, der Schlitzschraubendreher lebt fort, allen Neuerungen zum Trotz. Lächerlich einfach. Ein ungeschlachtes, grobes Relikt vergangener Jahrhunderte in einer Ära stets fortschreitender technologischer Raffinesse.

Flathead screwdriver bit
Abbildung eines Schlitz-Bits aus einem brillianten Handbuch für Werkzeuge in der Schifffahrt mit dem Namen Use of Tools.

Denn trotz all seiner Schwächen ist er immer noch das zuverlässigste, altvertrauteste Werkzeug in meiner pinken Werkzeugkiste. Wahrscheinlich sogar in allen Werkzeugkisten. Das fände ich schön.

Vielleicht ist der Schlitzschraubendreher in unserer seit fünfhundert Jahren währenden Beziehung einfach ein Teil von uns geworden. Nach so vielen Jahren haben wir vielleicht eine Art Verwandtschaft entwickelt, so, wie alte Ehepaare sich nach mehreren Jahrzehnten Ehe einander immer ähnlicher sehen. Vielleicht greifen wir immer wieder auf ihn zurück, weil er genauso stur und unperfekt ist wie wir selbst. Oder vielleicht meldet sich hier nur gerade mein Santa-Cruz-Selbst zu Wort.

Vielleicht macht der Schlitzschraubendreher einfach verlässlich seinen Job. Und vielleicht – vielleicht reicht das schon.

Schau dir auf jeden Fall das akribisch recherchierte Buch One Good Turn: A Natural History of the Screwdriver and the Screw von Witold Rybczynski an, aus dem die meisten Informationen für diesen Artikel stammen. Und um zu erfahren, wie es in der Geschichte der Schraubendreher weiterging, lies unsere Bit-Geschichten zum Vierkant-,  Kreuzschlitz-Torx- und Spanner-Bit.

Dieser Artikel wurde im Original von Julia Bluff verfasst und übersetzt von Maria Parker.